Kunst & Kultur
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Fünf Fragen an Annegret Bleisteiner
Am Freitag, den 21. November um 19.00 Uhr findet in der Galerie im Digital Art Space in der Amalienstraße die Vernissage von Annegret Bleisteiner statt. Wir haben mit Ihr über diese aktuelle Ausstellung und darüber gesprochen, wie sie zu Augmented Reality gekommen ist.
1.Du hast ein großes Portfolio mit Installationen, Video, Malerei und Zeichnungen. Was hat dich dazu gebracht, nun auch mit Augmented Reality zu arbeiten?
Meine künstlerische Praxis dreht sich seit vielen Jahren um Überlagerungen: Raum, Zeit und Erinnerung. In den Plexiglasarbeiten von 2007 hängen die Motivplatten im Abstand von 5 cm, sodass einzelne Bewegungsphasen räumlich nachvollziehbar bleiben und sich gleichzeitig zur Bewegungskurve addieren. Später überlagerte ich Ausblicke aus meinem Atelierfenster in der Baumstraße mit älteren Fotografien und sogar mit Ansichten aus meinem New Yorker Atelier — Orte und Zeiten, die nicht auf derselben Blickachse liegen, treten miteinander in Resonanz.


Augmented Reality erlaubt mir nun, diese Schichtungen deutlich performativer und partizipativer zu machen: Bänder, Texte und Zeichnungen lassen sich wörtlich im Raum platzieren, Stimmen aus der Geschichte werden hörbar, und Texte (etwa von George Sand) können mittels KI in eine Zukunftsvision transformiert und auf den Bändern ablesbar werden. Für mich ist AR eine bereichernde Weiterentwicklung meiner Arbeit, die analoge und digitale Strategien verknüpft.


2. Kannst du deine AR-Arbeiten kurz beschreiben?
Die App verbindet moderne digitale Technologien wie Augmented Reality, KI-gestützte Sprach- und Bildtransformation mit einer feministischen künstlerischen Praxis, die das traditionelle Verständnis von Raum, Zeit und Erinnerung infrage stellt. Die Installation ist inspiriert von philosophischen Konzepten, die Zeit als Schichtung begreifen – etwa bei Henri Bergson, der Kunst als Raum für die Entfaltung neuer Wirklichkeiten beschreibt: „Kunst ist nicht das Abbild der Realität, sondern ein Raum für die Entfaltung neuer Wirklichkeiten.“ Space-Time Layering ist eine künstlerische AR-App, die reale Landschafts- und Galerieräume mit künstlerischen Elementen verknüpft. Nutzer:innen bewegen sich mit Smartphone oder Tablet durch die Umgebung und erleben, wie Linien, farbige Bänder, Zeichnungen und Klangfragmente die reale Welt überlagern.
Der Menüpunkt „Kunstwerke setzen“ bietet die Möglichkeit, die digitalen Kunstwerke „Flexible Areale“ und „Kollektive Maze“ frei und individuell zu positionieren. Dies ist ein kreativer Akt der Freiheit, der das Prinzip künstlerischer Aneignung und kollaborativen Erlebens in den Vordergrund stellt. Der Prozess der Überlagerung, der immer mit Schichten von Zeit, Raum und Erinnerung arbeitet, ist mir dabei wichtig.




Im Bereich „Bänder spannen“ werden interaktive Linien im Raum verankert. Diese Bänder verbinden verschiedene Erinnerungsorte und schaffen ein dynamisches Netzwerk, das als Metapher für die Vielschichtigkeit von Geschichte und gesellschaftlichen Beziehungen fungiert. Die KI-gestützte Funktion unterstützt dabei spielerisch, weitere narrative Ebenen zu erschaffen.


Der Menüpunkt „Frauenportraits“ bringt die Stimmen bedeutender Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Philosophinnen aus unterschiedlichen Epochen in den Raum. Hier treffen die Nutzer*innen auf Pionierinnen wie George Sand, eine Vorreiterin weiblicher Autonomie und kreativer Freiheit, und Bettina von Arnim, eine Stimme der Romantik und gesellschaftlichen Kritik. Die Fragmente ihrer Gedanken verweben sich mit der Umgebung und laden dazu ein, Geschichte und Gegenwart neu zu reflektieren. Die Frauenportraits erscheinen als fragmentarische Pixelwolken; wer sich in diese Wolken begibt, liest und hört Gedankenfragmente von historischen Pionierinnen — die Bänder tragen direkte Zitate oder neu formulierte, in die Zukunft transformierte Sätze. Die App schafft so einen feministischen Resonanzraum: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treten nicht nacheinander, sondern gleichzeitig in einen poetischen Dialog.
3. Die aktuellste Arbeit Strong Women – Portraits: Eine poetische Reflexion über weibliche Freiheit ist stark inspiriert von George Sand in Mallorca. Magst Du uns ein paar Eindrücke von der Insel zeigen, die dich hier inspiriert haben?
Die Arbeit Strong Women – Portraits ist stark inspiriert von George Sand und ihrem Aufenthalt auf Mallorca. Das Buch “Ein Winter auf Mallorca” kenne ich schon seit 20 Jahren und es inspiriert mich immer wieder. Was mich besonders fasziniert hat, sind die Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenräumen, die Sand in ihrem Text so eindrücklich beschreibt. Die Insel selbst, mit ihren schroffen Landschaften, dem Licht und den offenen Weiten, vermittelt eine unmittelbare Intensität – gleichzeitig spiegeln diese äußeren Räume die innere Zustände wider, die Sand in ihren Reflexionen erzählt.
Die Beobachtung der Natur, der Lichtverläufe, der Vegetation – all das hat mich angeregt, in meiner Arbeit digitale Schichten zu entwickeln, die Innen- und Außenräume überlagern. Es geht mir darum, dass die Gedanken und Stimmen starker Frauen wie Sand in diesen Räumen präsent werden, ihre Freiheit und ihr Selbstbewusstsein erlebbar wird, ohne dass man sie festhält – sie tauchen auf, verweben sich mit dem Raum und lassen die Betrachterinnen selbst Teil dieser poetischen Reflexion werden.
Die AR-Komponente von Strong Women – Portraits überträgt diese Idee: Die Portraits und Gedanken der Frauen treten fragmentarisch im Raum auf, schweben wie Pixelwolken, die man erkunden kann. So entsteht ein immersiver Dialog zwischen der physischen Landschaft, den historischen Figuren und der eigenen Wahrnehmung – eine Gleichzeitigkeit von Innen- und Außenräumen, Vergangenheit und Gegenwart.
4. Wie war die Präsentation im Kunstverein Arti et Amicitiae in Amsterdam und wie reagierten die Besucher:innen?




Die Präsentation im Kunstverein Arti et Amicitiae im September 2025 zeigte deutlich, wie partizipativ die Arbeit wirkt: Besucher:innen setzten Werke, spannten Bänder, dokumentierten ihre Aktionen (Screenshots wurden oft geteilt) und suchten die Nähe zu den Pixelwolken der Frauenportraits. Die Interaktion erzeugte wiederholt neue Perspektiven auf die historischen Figuren; die Einbindung von Jeroen Werners Omenia brachte eine weitere Stimme in den Dialog und ließ Fiktion und Archiv zusammenwirken. International zeigte sich, dass die poetische Kombination aus analogen Markern und digitalen Erweiterungen gut funktioniert und Interesse weckt.
5. Deine Installation sind sowohl im offenen Landschaftsraum als auch im Galerieraum erlebbar. Worauf können sich die Besucherinnen und Besucher vom Digital Art Space freuen und was können die Personen tun, die dort nicht vorbeischauen können?


Bei der Eröffnung am Freitag, den 21. November um 19.00 Uhr in der Galerie im Digital Art Space in der Amalienstraße erwartet die Besucher:innen ein einmaliges Erlebnis. Alle, die kommen, können die App Space Time Layering direkt erleben: In der Gruppenausstellung mit Jeroen Werner stehen die Erkundung von Fluchtpunkten, Perspektiven, das wörtliche „Zeichnen im Raum“ sowie Frauenportraits im Mittelpunkt.
Besonders spannend wird meine Realperformance sein, bei der die Stimmen der historischen Frauen zum Leben erweckt werden und die Besucher:innen die digitalen Linien, Bänder und Portraits interaktiv erleben können. So entsteht ein poetischer Raum, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den gezeichneten Linien und digitalen Schichten sichtbar werden.
Die App ermöglicht es den Nutzer*innen, selbst Teil dieses Prozesses zu werden: Durch das Spannen von Bändern, das Setzen von digitalen Linien und das Aktivieren von Frauenstimmen entstehen individuelle Erinnerungskarten, die Vergangenheit, Gegenwart und die Bewegung im Raum miteinander verweben.


Space Time Layering ist nicht nur eine App, sondern ein künstlerisches Werkzeug, das immersive Performance, digitale Erinnerungskultur und feministische Raumaneignung miteinander verknüpft. Die App wurde bereits in ersten Testläufen in natürlichen Umgebungen erprobt und soll nun weiterentwickelt werden — insbesondere in Bereichen wie UX-Optimierung, variablen Landschaftsformaten sowie in Formaten für Vermittlung, Workshops und Ausstellungspräsentationen.



