Kunst & Kultur

Fünf Fragen an Marcus Lobbes, Direktor der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund


KI künstlerisch und technisch für die Bühne nutzen

Marcus Lobbes, Direktor der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund, äußerte sich in der Zeitschrift ” Die deutsche Bühne” aus seiner Sicht zur Integration von KI in den Theaterbereich.

Portrait: Susanne Diesner

Unser Gespräch findet Ende Februar 2024 statt – die heutigen Antworten versuchen wir in Beziehung zu setzen auf das Symposium zu „KI am Theater“ im Jahr 2021 am Schauspielhaus Düsseldorf, wo Marcus bereits am damaligen Gespräch teilgenommen hatte. Ein dritter Zeitpunkt, den man berücksichtigen kann, ist die Zeit vor etwa einem Jahr, als Chat GPT für alle zugänglich wurde.

Foto: Marcus Lobbes

1 KI ALS THEATERMITTEL NUTZEN – 2021 sagtest Du, das Theater darf sich nicht technisch abhängen lassen, sondern soll KI experimentierfreudig auf künstlerische Anwendbarkeit überprüfen. Wo stehen wir damit jetzt Ende des zweiten Monats des Jahres 2024?

Maschinelles Lernen hat seitdem einen enormen Schub erfahren. Chat GPT ist ja nicht neu, aber seit einem Jahr „userfriendly“. Im Vergleich zum 20 Jahre dauernden Prozess digitaler Transformation in den Künsten sind KIs somit rasante 20-mal schneller Thema geworden. 2021 hatten wir es mit dem Projekt „Regie KI“ noch mit einem überschaubaren Datenmodell zu tun. Für die Programmierung hatte hier an der Akademie für Theater und Digitalität Meredith Thomas mitgewirkt – übrigens ebenso wie für die theatrale Installation „ANA“ von Chris Ziegler, die letztes Jahr in München bei der Ausstellung „Neue Sinnlichkeit“ im Marstall zu erleben war.

Jetzt stehen wir an dem Punkt, daß man sehr schnell 3D-Modelle aus 2D-Daten errechnen lassen kann, beispielsweise aus 40.000 historischen Fotos des Dortmunder Theaters (Projekt der ehemaligen Akademie-Fellows Samuel Chan und Elena Tilli). Einerseits wird historisches Material aufgearbeitet, aber damit werden auch neue Räume kreiert.

Die Gruppe Fronte Vacuo ( Marco Donnarumma und Andrea Familiari, Alumni der Akademie) und ihre Arbeit, Körperdaten der Spieler:innen auszulesen und über ein iteratives (= fortlaufendes) Datenprojekt an eine KI-Maschine einzugeben und über das „Gelernte“ Sound -und Lichtereignisse zu kreieren, hatte ich in dem Artikel der „ Deutschen Bühne“ ja schon ausführlicher portraitiert. Spannend hier ist das Spielen mit einer Kopie des Selbst, die sich auf einer Bühne dann immer anders manifestiert.

Dass KI und Extended Reality gleichzeitig eingesetzt werden, ist aus meiner Sicht bisher noch nicht so üblich.- Björn Lengers hat hier in Dortmund allerdings für seine kommenden VR-Projekte geforscht, nämlich an maschinenlernend basierten  Sound- und Sprachmodellen, die zukünftig für VR-Arbeiten zum Einsatz kommen sollen- also ein Teil kommender größerer Arbeiten.

Ich denke aber, das kommt garantiert. Wir sind gespannt!

Mein Kollege Mario Simon prognostizierte gestern, daß der Beruf des Prompt-Engineers groß in Mode kommen wird.

Meine Einschätzung ist ebenfalls: Die Nutzung von KI am Theater ist schon da, (natürlich nicht breitflächig, weil breitflächig werden ja nur 300-Jahre lang erprobte Techniken genutzt 😉) kommt noch deutlicher und wird nicht mehr weggehen.

Ich selber brauchte in den letzten Tagen noch einen Trailer für einen Vortrag und habe dafür per Open AI Videomaker auf Textbasis einen fünfminütigen „Imagefilm“ über die neue Technologie in der Geschichte der darstellenden Künste errechnen lassen – inklusive Musik, Schnitt etc. Dauer: Bratzeit für ein Spiegelei.

2 EXPERIMENT UND ENTWICKLUNG- Wo findest Du heute KI fruchtbar und zukunftsweisend eingesetzt? Was meintest Du genau damit, daß man KI eher als Kollaborateur denn als Werkzeug sehen sollte?

Text-to-Speech wird immer besser werden, weil die Sprachmodelle immer besser werden. Ganz deutlich ist, daß bildgebende Verfahren immer zugänglicher und damit leichter nutzbar werden. Heute muss man dafür nicht mehr Programmiersprachen können. Je zugänglicher das wird, desto einfacher ist es, auch in virtuellen Umgebungen Dinge herstellen zu lassen.

Kollaboration? Ob ich das heute noch so formuliere? KI als Werkzeug ist in jedem Falle kollaborativ, weil es was anderes macht als ein Beleuchtungspult: diese ganzen generativen Modelle setzen nicht vorraus, daß Du von Beginn an weißt, was dabei herauskommt und die Vorstellung über die Maschine an die realen Gegebenheiten angleichst.

Im Zweifelsfall erhältst Du von der KI ein nicht erwartetes Ergebnis. Es ist andererseits nicht kreativ, sondern ein Zusammenfügen von Informationen. Ich denke eigentlich jeden Tag weiter darüber nach.

Ausserdem hat die Kommunikation mit KI immer eine anthropomorphe Variante. Warum bin ich höflich und bedanke mich bei der KI? Sehe ich da etwas Menschliches drin, was gar nicht drin ist? Vielleicht fällt mir das Arbeiten so einfach leichter…

Statt wie früher ganze Bibliotheken zu lesen in der Recherchephase, finde ich jetzt spannend, wenn bei einer KI-Befragung zufällig Ergebnisse rauskommen. Ich befinde mich hier in einem dauerhaften Gespräch. Und einen sehr guten Trick finde ich, die Maschine sich selbst Dinge fragen zu lassen. Sie soll mir z.B. fünf Fragen zu einem Thema stellen, warum mich das interessieren könnte. Da kommt mindestens eine Frage, mit der ich nicht rechne- und wenn ich die fünf Fragen beantwortet habe, kann ich immer das Thema besser eingrenzen. Damit lasse ich mich auf eine Mechanik ein.

Eine sehr wichtige Frage ist: „Who owns the truth?“, also „Wem gehört die Wahrheit?“, denn selbst bei Durchforstung des gesamten Internets tut KI das nach bestimmten Kriterien. Und das bedeutet dann immer auch: „Wem gehört die Zukunft?“. Was sehe ich, was nicht, was bewirkt es, was nicht- also ein spannendes gesellschaftliches Feld.

3 STORYTELLING UND INTERAKTION- welches Beispiel fällt Dir ein, wo eine kollaborierende KI  einer Performance neue Ebenen so hinzufügte, daß Du einen ganz klaren Nutzen darin siehst ?

Martin Hennecke hat im Konzertsaal, dem klassischen analogen Kopräsenzraum, für „The (un)answered Question“ Publikumsdaten von 300 Zuhörer:innen auslesen lassen, um die Orchesterpartitur des klassischen 13-köpfigen Kammermusikensemble nach der Pause dann damit zu verändern.
Vor der Pause hörte man im Konzertsaal das Originalwerk und nach der Pause das, was über Gesichts-, Körper- und biografische Daten des Publikums mittels des Algorithmus, den er mit Unterstützung zweier großer Wissenschaftszentren entwickelt hatte, entstanden ist. Dafür waren Fitnesstracker im Einsatz und das Herz eines Schauspielers war vom weltgrößten MRT in 3D modelliert zu sehen.

Während Du als Zuschauer:in dabei bist, wird die Partitur nach der Pause durch Deine Messwerte verändert und es wird durch Deine Teilhabe das einzige Mal so erklingen.

Das ist spannend, da sich wirklich Prozesse verändern – und immersiv, weil Du ständig drüber nachdenkst. Die Leute bei der Diskussion im Anschluss waren irrsinnig neugierig auf die Prozesse und verstanden gleichzeitig aber, daß sie diese gar nicht technisch komplett durchblicken wollten: es bleibt ein Geheimnis, welche ihrer Reaktionen genau zu den Veränderungen der Musik geführt haben.

Das Onboarding funktionierte gut und garantierte damit Niedrigschwelligkeit. Daß das uns ständig begleitende Handy eine komplette Raumfahrtzentrale sein kann, wird konkret erfahrbar. – und damit versteht man etwas über die uns umgebende Alltagswelt. Damit bedient das Stück alle Ebenen, von denen her wir darstellende Kunst begreifen können. Was sehe ich da und wie beziehe ich es auf mich?

Deswegen ist das ein extrem gelungenes Format.- Nicht zuletzt als etwas, wofür wir als Kulturinstitutionen einen Auftrag haben.

Diese Arbeit wurde ein Jahr später mit „ The privacy of things“ fortgeführt und erweitert mit einem Ballettensemble.

4 DIE ROLLE DES PUBLIKUMS- wie würdest Du die Veränderung der Rolle der Zuschauenden/ Zuhörenden genau beschreiben? Fällt es dem Publikum leicht, sich auf neue Erzählarten einzulassen?

Bei dem genannten Beispiel des zweigeteilten Konzertes von Martin Hennecke war auffallend, daß vom Publikum fast niemand vorab gegangen ist. Das Publikum, das jetzt mit neuen Dingen in Berührung kommt, wird aktiv daran beteiligt. Daß das gut gelingt, hängt sehr von einem guten, präzisen, zugewandten Onboarding ab: Je besser das gelingt, umso faszinierter sind die Leute und verstehen auch, warum Technik, dramaturgisch begründet, eingesetzt wird. Das Publikum kann es dann als Konzept und nicht als Experiment wahrnehmen.

Im Sommer 2023 in Bayreuth, wo ja 360 AR-Brillen für „Parsifal“ zum Einsatz kamen, war ich überrascht, wie reibungslos es technisch geklappt hat. Die Leute haben durchgehend 5 Stunden damit die Oper verfolgt: es ist also schon eine Akzeptanz da. Und die Nachbar:innen, die selber keine Brillen hatten, fragten neugierig, was ich da sehe.- Die Neugier überwiegt in der Regel die Skepsis. Wenn das dem Theater digital neu Hinzugefügte sinnhaft ist, wird es sich auch im Publikum durchsetzen.

Bei vielen Theatern sieht man, daß Digitalsparten gegründet worden sind: in Nürnberg, in Mannheim mit #ntmdigital, in München am Resi, am Musiktheater im Revier, schon länger natürlich hier in Dortmund, in Graz (mit einem Digitalfestival jetzt im März); in Augsburg wurde die Existenz der Digitalsparte sogar in die Präambel des Theaters geschrieben.

5 EINSCHALTEN-AUSSCHALTEN – Du sagst, man kann sich entscheiden, mit KI zu arbeiten – und sie einschalten. Meinst Du, man kann das kontrollieren und sie bei Bedarf auch immer ausschalten – selbst wenn man sie zum Kollaborateur gemacht hat?

Man kann sich aktiv entscheiden, damit zu arbeiten. Als kreativ arbeitender Mensch sollte man grundsätzlich erstmal neugierig sein.

Alles, was wir hier in der Akademie für Theater und Digitalität machen, muss die Voraussetzung haben, daß es einer dramaturgischen Fragestellung folgt.- Möchte/ muss ich etwas erzählen und welches Mittel ist dafür gut? Wir nutzen etwas nicht nur, weil es technologisch geht.

Wer hat die Steuerung implementiert? Nichts passiert von alleine. Die KI selbst hat natürlich keinen eigenen Erfahrungsschatz oder Einfälle aufgrund biografischer Erinnerungen. Trotzdem finde ich spannend, daß die von uns gepflegte Erzählung vom Originalgenie hinterfragt wird.

Wenn wir maschinelles Lernen doch kollaborativ begreifen, werden wir darauf stoßen, dass nichts durch sich allein entsteht. Den Gedanken finde ich sehr angenehm.

Und auch hier wieder: „Wem gehört die Wahrheit“, wer ist verantwortlich für Ein- und Ausschalten? Die Verantwortung müssen wir tragen, eine KI übernimmt sie nicht.

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