Kunst & Kultur

Fake Food. Essen zwischen Schein und Sein


Besuch der „Fake Food“-Ausstellung in der Sammlung Ludwig im Alten Rathaus in Bamberg – historisch tafeln in VR

Bericht von Johanna Deffner

Dass die Sammlung Ludwig genau IN diesem weltbekannten alten Rathaus auf der Oberen Brücke ist,
war mir nicht klar
und überrascht mich –

Toll!

Und schon bin ich drinnen.

Als Ausstellungsarchitektur empfangen mich überkopfhohe Süßspeisen – na logisch: nicht echt, sondern farbig auf Stellwände geprintet. Auf deren Rückseite Filmausschnitte aus „Brust oder Keule“ von Louis de Funès, der das Thema „FakeFood“ auf seine spezielle Weise durchexerziert hat – lange, bevor wir künstlich hergestellte vegane Fleischprodukte in zwischenzeitlich schmackhafter Qualität in den Supermärkten kaufen können – ein nettes Wiedersehen.

In den Vitrinen gibt es verschiedenste sehr real wirkende „Schaugerichte“ aus Keramik mit farbiger Fassung, gefertigt im 18. Jahrhundert. Diese Stücke aus der wertvollen Sammlung von Peter und Irene Ludwig setzt die Ausstellung in heutigen Kontext mit der Frage: Wozu verwendete man täuschend echt wirkende Plastiken von Essbarem – und mit welchen Mitteln und wozu passiert das 2024?

Im weißen Saal mit tollem Ausblick auf die das Gebäude umrauschende Regnitz steht ein in schlichtem Weiß gedeckter Tisch. Und hier darf ich Platz nehmen und bekomme eine VR-Brille aufgesetzt.

Kulinarisch Parlieren in VR

In VR hat sich die Tafel in eine historische verwandelt, gedeckt mit dem original Geschirr aus der Sammlung, was man dann auch in den Vitrinen entdecken kann. Die Tischgesellschaft besteht aus der Gastgeberin, ihrem jugendlichen Sohn, einem Paar und einem Geistlichen als Tischnachbar. Und der Raum? Habe ich den Kronleuchter gerade nicht wahrgenommen und die goldgerahmten Bilder?

Ich kann nicht lange darüber nachdenken, denn an der festlichen Tafel hat man bereits auf mich gewartet. Ich werde begrüßt und sofort ins Gespräch eingebunden.

Die Tischgesellschaft amüsiert sich und bringt persönliche Meinungen zu den angebotenen Speisen zum Ausdruck. Ich werde ebenfalls um meine gefragt- und meine Antworten, die ich per Eyetracking geben kann, beeinflussen damit zweimal während der Experience interaktiv den Gesprächsverlauf. Z.B. muss ich mich entscheiden, ob mich echte Früchte oder künstliche mehr interessieren.

Ich finde, Virtual Reality als Ausstellungmittel ist in Bamberg perfekt eingesetzt: In den Vitrinen sind die Exponate als Artefakte bewundernswert – in der Experience werden sie darüber hinaus lebendig ins Geschehen eingebunden, so, wie sie von den historischen Speisenden genutzt wurden. Damit fügt sich in VR eine lebendige Ebene hinzu, die über das in der Vitrine geschützte bewunderbare Exponat, kunsthandwerklich beachtlich gefertigt, weit hinausgeht. Die Fayence wird wahrnehmbar als vornehmer Gebrauchsgegenstand in ihrem gesellschaftlichen Kontext.

Nach Verlassen der historischen Tafel finde ich im oberen Stock den prunkvollen Saal aus meiner virtuellen Essenseinladung: der alte Rathaussaal im Geschoss direkt über der VR Experience ist ein repräsentativer Raum- der sich als „feudaler Speisesaal“ als passendes Set der Filmproduktion angeboten hat.

Bild Making of: earlybirdpictures

Gespräch mit der Kuratorin der Ausstellung

Wie kamen die Kuratorinnen auf diese Idee, VR so zu nutzen und wie sind sie an dieses Projekt herangegangen? Zu diesen Fragen konnte ich mich mit Dr. Eva Schurr, der wissenschaftlichen Kuratorin der Ausstellung, unterhalten.

Die Idee, diese „Schaugerichte“ zu präsentieren, entwickelte Dr. Eva Schurr gemeinsam mit Dr. Kristin Knebel, der Direktorin der Bamberger Museen.

Die beiden Kuratorinnen planten, den Besucher:innen im ersten Teil der Ausstellung eine VR-Anwendung anzubieten, um darin bereits die qualitätsvollen Trompe-l’œil- Arbeiten digital vorzustellen. Die Besucher:innen erleben diese außerhalb der herkömmlichen Präsentation; in VR soll die Tischkultur des achtzehnten Jahrhunderts an aristokratischen Tafeln für sie nacherlebbar werden.

Bei der Umsetzung der Idee halfen die Ausstellungsgestalter:innen von Whitebox aus Dresden; diese koordinierten die VR-Planung der Firma Visionsbox aus Ohlsbach mit der technischen Umsetzung des Filmteams von earlybirdpictures.
Die Wahl und Ausstattung des Raumes und Beratung zu Kostümen, zum Sprachduktus etc. war der Part des Museums.

Bild Making of: earlybirdpictures……………………………… Kostüme nur über dem Tisch nötig

Story

Frau Dr. Schurr entwickelte mit ihrem Kurator:innenteam einen Gesprächsverlauf als Text, als „Story“- die nicht nur linear ist, sondern bei jeder der zwei Entscheidungsfragen der User:in drei Varianten anbietet: Man kann sich für A oder B entscheiden- oder NICHT für A oder B-

Damit gibt es ganz verschiedene Gesprächsverläufe. Für Frau Dr. Schurr war das eine völlig neue Herangehensweise, eine Ausstellung zu planen – herausfordernd und erfrischend zugleich.

Die fertige Story mit den Varianten wurde in Folge von einem Drehbuchautor für den Dreh umgesetzt. Hier gab es Korrekturgespräche, wo Frau Dr. Schurr als Autorin mit kunsthistorischem Wissen um höfische Tischkultur dafür sorgte, dass unterhaltsame Erweiterungen immer auch historisch korrekt blieben.

Die Umsetzung der Experience erforderte also eine echte Projektplanung. Die Zusammenarbeit mit den beauftragten Firmen klappte aber sehr gut, berichtet das Museum.

Bild Making of: earlybirdpictures

Und das Ergebnis?

Die Ausstellung ist ein großer Erfolg: Neben dem inhaltlichen Mehrwert konnte das Museum für die Ausstellung „Fake Food“ in nur acht Monaten annähernd doppelt so viele Besuche verzeichnen wie sonst in zwölf Monaten. Und im Gästebuch liest man oft, dass gerade die VR-Tisch-gesellschaft das Coolste am ganzen Besuch war.

Wir hoffen, dass in der Zukunft die zwei museumseigenen Brillen wieder zum Einsatz kommen – vielleicht schon für die kommende Ausstellung über Kaiser Heinrich II., den Gründer des Bistums Bamberg, der vor 1000 Jahren gestorben ist?

Nach der “Fake Food”-Ausstellung werden das Museum und das Gebäude wegen seiner Sanierung eine Zeit lang geschlossen sein – ein weiterer Grund, sich die unterhaltsame und aufschlussreiche Ausstellung bis Anfang April 2024 noch anzusehen! Auf nach Bamberg!
Die Ausstellung ist noch bis zum 7. April 2024 zu sehen: täglich außer Montag von 10 – 16:30 Uhr.

Bildunterschriften: Filmdreh Making of_01/02/03: Phil Bürger, Lena Drieschner, Christoph Kopp, Sebastian Menges, Antonia Tittel und earlybirdpictures, Fleischhauer und Springhart GbR; erste beide Bilder: Museen der Stadt Bamberg


 

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