Kunst & Kultur

“STRANGE ATtRACKING” – Fünf Fragen an Katharina Simons (CUTTY SHELLS) und Christoph Straube (LEONARDO Zentrum)


Am zehnten Januar 2025 fand die Abschluss-Performance von STRANGE ATtRACKING im Ground Floor des Leonardo-Zentrums Nürnberg statt.

Einladungskarte zum Showing am 10.01.2025


Auf der Leinwand erstreckt sich eine Landschaft, rechts vor der Performance-Fläche ein Monitor, der die Positionen der Objekte im Raum technisch anzeigt. Das Publikum sitzt frontal.

Hufartige Beine lugen hinter einem Pfeiler hervor: Wir sehen eine Person, wie sie sich langsam auf die Spielfläche zieht. Auf dem Kopf sitzt eine Krone mit drei Zacken, deren Schleier (3D gedruckt) das Gesicht verdeckt. Um den schwarz-grau gekleideten Körper hängen Ketten und Symbole.

Foto: Christoph Straube


Eine Witch. Eine Cyberwitch, die mit uns immer tiefer in die projizierte gruslig und magisch anmutende Waldlandschaft eintaucht.

Verschiedene Symbole, die im Raum verteilt sind, werden als Navigatoren genutzt, um uns durch den virtuellen Hexenwald zu führen. Wir gelangen an eine Höhle und werden plötzlich in einen Tunnel gezogen. Am Ende des Tunnels bewegt sich etwas Glitzerndes und Ungreifbares.

Während der Tunnelfahrt gestaltet die Cyberwitch ein Ritual: verschiedene Symbole (Marker) im Raum werden in eine neue Ordnung gebracht; die Hufen werden mit einem Messer abgeschnitten und geopfert. Am Ende des Tunnels landen wir in einer schleimigen Welt zwischen Leben und Tod, Stillstand und Bewegung. Die Cyberwitch transformiert hier ihre äußere Gestalt, sie nimmt die Krone ab und lädt uns ein, diese neue Welt nun selbst spielerisch mittels der im Raum liegenden Symbolobjekte zu erkunden.

Analoges und digitales Licht – Foto: Christoph Straube


Das Performance-Projekt ist initiiert und konzeptioniert von der Regisseurin Katharina Simons (CUTTY SHELLS), die ihr Vorhaben am LEONARDO-Zentrum zusammen mit der Choreografin und Performerin Pati Maslowska (als Cyberwitch) und mit Christoph Straube, Medienkünstler und Mitarbeiter im LEONARDO, realisierte.

Im Herbst 2024 gab es einen Aufruf an Studierende der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Teil des Projektes zu werden. Die Studierenden haben in zwei Gruppen zwei beeindruckende Welten, einen schattigen Wald, eine wasserartige Schleimwelt und auch einen Zwischenraum entwickelt, in denen man sich per Marker-Objekten bewegen, die Lichtquelle steuern und das Element wechseln kann.


Ich freue mich, daß Katharina und Christoph uns fünf Fragen zu “STRANGE ATtRACKING” beantworten. Wir starten mit

1_Was ist Cyberwitchcraft? Wie war die Versuchsanordnung und die grundsätzliche Fragestellung?

Katharina: Eine „Witch“ (Hexe) ist eine Person, die die Welt so sieht, wie sie sein könnte und die Kraft hat, diese dann zu formen. Kunst ist Craft. Ist Witchcraft.

Cyberwitchcraft ist genau diese Kunst im Bereich der Digitalität. Ein bestimmter Umgang mit Technologien, der unsere Vorstellungs- und Wahrnehmungskraft erweitern kann. Das ist Cyberwitchcraft für mich.

Das Konzept zu STRANGE AtTRACKING ist eine Teilidee meiner vorherigen Koproduktion mit der Tafelhalle „EXIT THROUGH THE INSIDE“. Der Ausgangspunkt dieser Arbeit war der Technoschamanismus. Technik und Schamanismus. Ein/e Schamane/Schamanin reist in Welten verschiedenster Art. Motion Tracking, das uns ein (Fort-)Bewegen in einer anderen Dimension/Welt ermöglicht, kann dann ja eigentlich auch eine Art schamanische Praxis sein. Allerdings war diese Idee zu groß für die Fördergelder des Tafelhallen Stückes und daher haben wir ohne MotionTracking in „EXIT…“ gearbeitet. Aber die Idee wollte in mir ausprobiert werden.

Mit dieser Idee und dem Vorhaben, ein schamanisches, interaktives Ritual mit Motion Tracking zu entwerfen, fragte ich beim LEONARDO nach einer Kooperation an und bewarb mich beim BLZT (Bayerischer Landesverband für zeitgenössicher Tanz) für ein Stipendium (welches ich auch bekam). So konnte ich Christoph und Pati für die Recherchearbeit auch honorieren.

Zu Beginn der Recherche hieß das Projekt noch „THE SHAMANIC TRACK“ und hatte noch den Hintergedanken des Technoschamanismus. Durch verschiedene ästhetische Impulse fand ich es klarer, von „Cyberwitchcraft“ zu sprechen als von Technoschamanismus.

Mein grundsätzliches Anliegen für dieses Vorhaben war es, die Technik des MotionTrackings zu explorieren und auf einer Bühne zu verwenden, aber sie nicht auszustellen. Ich wollte dabei ihr narratives Potenzial für den analogen als auch für den virtuellen Raum untersuchen. Hier liegt auch mein größtes Interesse – der intermediale Zwischenraum, der Welten kreiert, zusammenhält und für mich ein Meer an Narrativen, Formen und Choreografien bietet.

Aus den Rückmeldungen zum Showing lese ich ab, dass uns dieses Vorhaben gut geglückt ist. Denn so wurde das System des MotionTrackings nicht versteckt, sondern auch in der Choreografie reflexiv; allerdings war die treibende Kraft das Narrativ, das die beiden Welten – den „Wald“ und die „Schleimwelt“ – in Verbindung brachte.

Christoph: Das Projekt war ein Experiment: in welcher Weise kann die Motion-Capture Technik für eine Live-Performance verwendet werden? Mit welchen Mitteln, auf welche Art kann die Performerin mit virtuellen Objekten interagieren und wie kann das auch für das Publikum verständlich dargestellt werden?

Unsere Erwartungen wurden durchaus erfüllt: Wir haben schnell erkannt, dass die Performerin nicht nur mit einzelnen Objekten interagieren, sondern die gesamte Szene ändern kann: indem der Bewegung dieser Objekte eine Möglichkeit zur Steuerung zugeordnet wurde, um durch eine virtuelle Landschaft zu navigieren.


2. Wie kam es zu den Varianten der Marker-Formen? Wie beeinflussen diese Markerbeschaffenheiten die Bewegung der Begeher:innen der Welten?

Christoph: zunächst ist die Form der Marker rein technisch bedingt. Sie müssen jeweils unterschiedliche Anordnungen von reflektierenden Elementen enthalten, die von den Kameras des Systems erkennbar und unterscheidbar sind. Im Verlauf haben wir untersucht, wie weit sie abgeändert und in ein Kostüm integriert werden können und dabei trotzdem ihre Funktionalität behalten. Eine Veränderung war stets innerhalb dieser Grenzen möglich. Dass sie immer noch ihren technischen Aspekt hatten, sollte schon sichtbar bleiben: das war das optische Stückkonzept.

Katharina: Dass wir mit Markern arbeiten wollten, wurde schon bei unserem zweiten Treffen klar. Ich persönlich finde den Suits ästhetisch einfach nicht so ansprechend und auch für die Entwicklung eines Narrativs sehr einschränkend. Daher wurde für mich schnell klar, dass es eine Arbeit für Kostüm und Raum wird. Wir arbeiteten sehr lange mit bestimmten Markern als Attrappe (oft waren es einfach nur lange Stecken mit den Markerpunkten), um verschiedene Funktionsweisen zu testen. Beim Ausprobieren verknüpften wir diese mit verschiedenen Funktionen. Ein Marker steuerte z.B. die Sonne in der Welt, ein anderer produzierte Sound. Dadurch hat sich durch Körper und Marker die Welt verändert – und auch gestaltet. Der spannende Moment entsteht für mich darin, dass ich die Verbindung zwischen Körper, Markerobjekt und virtueller Welt erkennen kann, aber dass sich mir nicht sofort die genauen Zusammenhänge erschließen. Dabei kann ein Sog entstehen, der den Zuschauenden in die kreierte Zwischenwelt einzieht. Darin besteht auch für mich die Magie – die Witchcraft – das Geheimnis.

Unter der Oberfläche – Foto: Christoph Straube


3. Faszinierend, wie sich die Tänzerin Pati Maslowska mittels der Objekte durch die Cyberwelt bewegt- und uns Zuschauer:innen mitnimmt: Die 3D Welt zeigt sich für uns in 2D auf der Leinwand.
Wie war die Zusammenarbeit zwischen Euch, mit den neu ins Team gefundenen Studierendengruppen, mit Pati Maslowska für die Choreografie?

Christoph: alle Beteiligten waren in ihrem jeweiligen Bereich in den Prozess eingebunden, darüber hinaus haben sich diese Bereiche immer wieder überschnitten: technische Möglichkeiten und Grenzen bildeten die Grundlage zu Patis performativem Umgang mit den Markerobjekten. Katis Vorstellungen waren die Ausgangspunkte um technische Grundlagen zu erkunden, die engagierte Arbeit der Studierenden an den virtuellen Szenen bildete die große Klammer um die Performance.

“Schleimwasser”


Katharina: Pati und ich arbeiten schon länger zusammen, wir haben durch unsere gemeinsame Interessenswelt schon eine eigene Art der künstlerischen Kommunikation. In Zusammenarbeit mit ihr habe ich mich für die Choreografie mehr auf die Erstellung des Kostüms, das unter anderem Marker enthält, konzentriert. Was für mich schnell klar war, ist, dass die Bewegungen von Pati zwar die virtuelle Welt bewegt, beeinflusst, mit ihr interagiert, aber dass das nicht die primäre Intention der Bewegungsabfolgen ist. Wenn die Bewegungen sich zu sehr an der Projektion und der technischen Funktionsweise ausrichten, dann verliert sich die Präsenz der performenden Person im virtuellen Raum und das nimmt die Zuschauenden nicht unbedingt mit in die magische Welt. Man würde in diesem Falle einfach einer Person beim Ausprobieren einer Technik zusehen.

Wie kann Choreografie also mit Technik magisch – also zur Witchcraft werden? In der Erarbeitung der Choreografie ging es viel darum ein Ritual zu choreografieren, das mit den Markern, dem herausfordernden Kostüm mit den Hufenschuhen – und dem Setting interagiert und sich umgekehrt davon auch bewegen lässt.

Wiese im Hexenwald Foto: Christoph Straube


Was dann tatsächlich im virtuellen Raum/in der Projektion passiert, war erstmal eher sekundär; –  Aus dem Blickwinkel der Regie allerdings nicht, da sollten alle Komponenten zu einem Narrativ zusammenlaufen! Und da hatte Christoph vor allem den Blick drauf, dass technisch alles umsetzbar bleibt – und ich strebte dabei stets den Eskapismus an!

Die Arbeit mit den Studierenden war wirklich sehr spannend und ich bin sehr beeindruckt, in welch kurzer Zeit die Studierenden der Ohm-Hochschule Nürnberg zwei verschiedene Welten und einen Tunnel als Übergang entworfen haben. Vor allem der Tunnel als verbindendes Element der beiden Welten wurde von den Studierenden eingebracht.

In der Zusammenarbeit mit den Studierenden hat Christoph die technische Betreuung und Einführung übernommen. Ich habe die künstlerischen Rahmen gesetzt und dabei versucht, ihnen viel Freiraum zum Ausprobieren zu geben. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit, weil sich die Studierenden gut auf die vorgegebene Ästhetik und die Narrative einlassen konnten und untereinander rege im Austausch waren, so dass viel aufeinander abgestimmt werden konnte.


4. Wo lagen die Herausforderungen für Dich, Kathi und für dich, Christoph? Wo seht Ihr die Herausforderungen, mit denen sich die Studierenden und die Tänzerin beschäftigen mussten?
Was nehmt Ihr für Erkenntnisse mit?

Katharina: Wenn ich an die Herausforderungen denke, dann ist es die Zeit. Die Wahrnehmung von Zeit, die sich für mich komplett verändert, wenn man mit dieser Technik arbeitet. Aus dem Theater kenne ich es, dass es zwar auch nicht immer leicht ist, Dinge umzustellen, aber dass es durchaus schnell mal ausprobiert werden kann. Das „schnell mal ausprobieren“ gab es hier nicht wirklich. Und das hat von mir eine ganz neue Arbeits- und Denkweise verlangt, die ich trotzdem sehr bereichernd fand. Als Regisseurin fällt es mir eher leicht, Dinge im Ganzen und als komplette Struktur zu denken. Da hat für mich gut funktioniert, die einzelnen Schritte zu denken. Allerdings greife ich, wenn was nicht funktioniert, meistens auf meine Intuition zurück und folge Impulsen. Das war hier sehr herausfordernd, denn wenn etwas nicht funktionierte, musste man oft die Welt des Performativen verlassen und in die Welt der Software eintauchen. Und da war es eine so schöne Zusammenarbeit mit Christoph, der sich da wirklich extrem gut auskennt, klar die Möglichkeitsfelder mit uns abgesteckt hat, aber auch immer neugierig mit uns Dinge probiert hat.

Ein anderer Aspekt der Zeit ist, dass sich die Projektlaufzeit auf circa sechs Monate erstreckt, wir uns aber oft nur 2 – 3 Tage im Monat gesehen haben. Ich bin es durch das Theater eher gewohnt, in langen und intensiven Blöcken zu arbeiten. Das Projekt STRANGE ATtRACKING lief sehr parallel zu anderen Projekten – vor allem die Erstellung des Kostüms; dafür habe ich viele Teile zuhause mit dem 3D-Drucker entworfen und angefertigt. Die Überlegungen zu den Designs der Marker hat sich auch sehr lange erstreckt. Da gab es noch ganz viele andere Ideen, aber aufgrund von Zeit und auch Geld sind wir bei dem geblieben, was da war und haben nur mit Farblichkeit und Form gespielt. Die finalen Formen der Marker haben sich dann tatsächlich erst in der letzten Phase des Projekts, kurz vor dem Showing finalisiert.

Christoph: Die große Herausforderung war natürlich Wege und Möglichkeiten zu finden, für die es noch kein konkretes Rezept gab. Daher war die Realisierung immer wieder ein laufender Prozess, der manchmal klarer, aber dann auch wieder offener war. Am Schluss nimmt man bei so einem Prozess immer viel mit, beim nächsten Mal kann darauf wieder aufgebaut werden.


5. Wollt Ihr von diesem erreichten Punkt aus das Projekt noch weiterentwickeln? Wann kann man die Performance nochmal oder weiterentwickelter Form live sehen?

Christoph: Da es zum derzeitigen Stand ein sehr gutes Ergebnis hatte, wird das Projekt sicher noch einmal zu sehen sein, obwohl es in der bisherigen Zielsetzung als Research-Projekt abgeschlossen ist. Daher gibt es momentan noch keine konkreten Termine; ein Aufbau auf die derzeitige Form als Weiterentwicklung kann es grundsätzlich auf jeden Fall geben.

Katharina: Die Leitung des LEONARDO Zentrums war sehr begeistert von der Performance und hat uns eingeladen, STRANGE ATtRACKING an der Neueröffnung des LEONARDO im Juli nochmal zu zeigen. Da werden wir den Arbeitsstand von Januar nochmal präsentieren und in Austausch bringen. Und so wäre es auch schön, dasselbe in anderen Räumen zu zeigen und zu sehen, wie sich dort die Dinge verhalten.

Aktuell würde ich die Idee MotionTracking as Cyberwitchcraft gerne weiterentwickeln und die noch unentdeckten Narrative der Welten an die Oberfläche bringen – und dabei vielleicht sogar noch mehr Welten entdecken. … Tatsächlich denke ich, dass wir dafür noch zwei weitere Cyberwitches brauchen – also drei!

Mein Fokus läge dabei wieder auf dem intermedialen Zwischenraum, auf der Symbiose von analogen und virtuellem Raum durch das narrative Potenzial des MotionTrackings.

In der weiteren Entwicklung würde ich das Ritual so konzipieren, dass die Zuschauer:innen mehr mit einbezogen werden: Mit auf die Bühne kommen, mitgestalten, Cyberwitch werden….

Das Konzept dazu schreibt sich gerade ganz von allein und im Laufe diesen Jahres werde ich versuchen, Kooperationspartner und Förder:innen dafür zu finden.

Vielleicht unterstützt ein bisschen Cyberwitchcraft ja diesen Prozess…

Portraits Katharina Simons und Christoph Straube


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