Kunst & Kultur
Die Marktredwitzer Landschaftskrippe
In der Weihnachtszeit wollen wir Euch auf eine Krippentradition aufmerksam machen, die durch Virtual Reality um neue Möglichkeiten erweitert wird. Wir haben mit dem Creator der VR Experience, Stefan Frank, gesprochen.
Stefan ist Filmemacher, Autor, Künstler, Geschäftsführer der mobilen Jugend Kunstschule Fichtelgebirge & Hofer Land, Vorstandsmitglied im Landesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen LJKE Bayern e. V., Bezwinger vielfältiger Förderprogramme, Kulturveranstalter im Ehrenamt und überzeugter Fichtelgebirgsheimkehrer. Er kämpft leidenschaftlich für die mobile Jugendkunstschule Fichtelgebirge & Hofer Land, bringt sehr gerne Kunst in den öffentlichen Raum, deutet den Umgang mit Förderbürokratie als kreative Performance,
engagiert sich kommunal- und kulturpolitisch, veröffentlichte mehrere Dokumentarfilme im eigenen Verlag, ist Schöpfer der Virtuellen Marktredwitzer Landschaftskrippe, lebt in Wunsiedel und genießt das Fichtelgebirge.
(photo: Dagmar Drescher)
Die Marktredwitzer Landschaftskrippe ist inzwischen als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Kannst Du uns diese Tradition bitte beschreiben?
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Marktredwitz Krippenfiguren aus Ton hergestellt. Viele Familien sammelten diese Figuren und bauten zur Weihnachtszeit alle Jahre wieder immer umfangreichere Landschaftskrippen auf. Stolz hat man die eigene Krippe präsentiert und Nachbarn, Freunde und Bekannte besucht, um deren Krippen zu bewundern. Die Herstellung der Figuren endete in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts, die Tradition des „Krippenschauens“ wird bis heute gepflegt. Aus umfangreichen privaten Sammlungen werden alljährlich Landschaftskrippen auf bis zu 20 Quadratmeter Grundfläche mit mehreren hundert Figuren aufgestellt.
Die Figuren der Marktredwitzer Landschaftskrippen sind ca. 15 Zentimeter hoch, aus gebranntem Ton gefertigt und bunt bemalt. Sie zeichnen sich durch eine lebensnahe, humorvolle Darstellung aus und decken eine große inhaltliche Bandbreite ab. Neben der eigentlichen Weinachtsszene mit Kind, Maria und Josef, Hirten, Engeln, Schafen usw. finden sich Handwerk, Landwirtschaft und Alltag aber auch Freizeit mit Tanz und Festen, religiöse Szenen und alttestamentarische Motive bis hin zum Paradies mit Eva, Adam und Schlange.
Bemerkenswert ist die markante alpenländische Prägung der Marktredwitzer Landschaftskrippen. Figuren werden in oberbayerischer Tracht gezeigt, Jäger stellen Gämsen und Steinböcken nach, Gebäude sind entsprechend gestaltet und aus Wurzeln und Steinen werden hochalpine Landschaften gebaut. Zeitgleich zur Entwicklung der Marktredwitzer Krippentradition gewinnt im 19. Jahrhundert der Fremdenverkehr an Bedeutung: Zur Sommerfrische fuhr man mit dem Zug in die Alpen – allerdings konnten sich die wenigsten Familien im Fichtelgebirge im Nordosten Bayerns dieses Vergnügen leisten. Zur Weihnachtszeit baute man daher zuhause die unerreichbare Sehnsuchtslandschaft nach und schuf sich seine eigene – virtuelle – Traumwelt im Kleinen.
Diese bemerkenswerte Tradition wird in Marktredwitz bis heute gepflegt, alljährlich öffnen bis zu dreißig Familien ihre Türen und laden Besucherïnnen ein, ihre Krippe zu besuchen und zu bewundern. In einem Faltblatt sind Adresse und Öffnungszeiten gelistet, neben privaten Sammlungen beteiligen sich auch öffentliche Einrichtungen wie das Egerland-Museum, Kirchen und das historische Rathaus am „Marktredwitzer Krippenweg“.
Mittlerweile ist die Marktredwitzer Krippentradition in das bayern- und bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen und erfährt so auch überregionale Wertschätzung.
2. Du hast 2oo Krippenfiguren digitalisiert und man kann sie jetzt in VR von allen Seiten anschauen und auch anfassen. Wie bist Du auf diese Idee gekommen und was kann man alles erleben in der virtuellen Welt?
Das Egerland-Museum Marktredwitz besitzt eine umfangreiche Sammlung mit ca. 2.400 Figuren, Häusern und Objekten und präsentiert diese ganzjährig in einer sehenswerten Dauerausstellung. Bei einem Besuch im Museum stand ich vor den Vitrinen und erinnerte mich an meine eigene Kindheit: Der spannendste Moment für uns war eben nicht das Betrachten der fertigen Krippe, sondern das Auspacken der Figuren, die Überlegung, wie die Figuren zueinander positioniert werden sollten, das Bauen der Landschaft und das Aufstellen der Figuren. All dies bleibt den Betrachtern der fertigen Landschaftskrippe verwehrt.
Mit Hilfe der VR-Technologie konnten wir nun einen völlig neuen Zugang zum kulturhistorischen Erbe der Region schaffen: Nicht nur sind die Figuren rundum von allen Seiten betrachtbar, fotorealistisch und detailgetreu wiedergegeben. Durch die passende Skalierung begegnen die Besucherïnnen der Virtuellen Marktredwitzer Landschaftskrippe den Figuren auf Augenhöhe, bewegen sich sozusagen gleichberechtigt durch die virtuelle Krippenlandschaft und erleben die analoge virtuelle Krippenwelt des 19. Jahrhunderts mit aktuellster Technologie in einer Art und Weise wir nie zuvor.
Selbstverständlich können die Figuren von den Betrachtenden angefasst, von allen Seiten betrachtet und bewegt werden – ohne dass man Gefahr läuft, die historischen Originale zu beschädigen. Darüber hinaus verleiht ein liebevolles Sounddesign dem Ganzen eine faszinierende Lebendigkeit.
In Workshops mit Kindern und Jugendlichen gehen wir über das bloße Erleben der Virtuellen Krippe hinaus und Gestalten eigene Landschaften, bestücken diese mit den Figuren und vermitteln also Kenntnisse und Einblicke sowohl zu den Möglichkeiten der Virtual-Reality als auch zur Tradition der Marktredwitzer Landschaftskrippen.
3. Was sind aus Deiner Sicht die Besonderheiten, die man besser in der virtuellen Welt erleben kann als in der realen?
In der realen Welt steht man vor einer viele Quadratmeter großen Landschaftskrippe. Naturgemäß kann man die Figuren im Vordergrund im Detail betrachten, die Figuren und Szenen im Hintergrund sind weiter entfernt und weniger gut sichtbar. In der Virtuellen Landschaftskrippe spaziert man durch die gesamte Landschaft, bewegt sich rund um die Figuren und Gebäude herum. Man sieht z. B. auch die Rückseite von Häusern, die nicht mehr aufwendig gestaltet ist, da sie ja in der realen Welt niemals gesehen werden konnte. Staunend erkennt man das Baumaterial: Ein Zigarrenkistchen aus Havannah.
In der Virtuellen Welt erlebt man die Krippenlandschaft im Maßstab der Figuren. Wenn man das Hochgebirge erklimmt, genießt man den Blick in die weite Landschaft. Man begegnet den Heiligen Drei Königen, die gerade eine Wüste durchqueren, entdeckt in einem abgelegenen Tal das Paradies, in dem Löwe und Lamm noch friedlich beieinander stehen. Man stößt auf Waldarbeiter bei der Brotzeit, feiert im idyllisch gelegenen Biergarten auf der Alm eine zünftige Kirchweih mit Musik und Tanz oder verharrt andächtig beim Kind in der Krippe, unterbrochen nur durch das Blöken der Schafe…
Die lebensnahe Darstellung der Figuren in Verbindung mit der extra angefertigten Geräuschkulisse lässt die Besucherïnnen vollständig eintauchen in die historische Traumwelt. Das Bewusstsein für den Größenunterschied schwindet, die Rezeption der Figuren und der mit ihnen gezeigten Szenen und Handlungsabläufe wird direkter – und im Idealfall wird in jungen Besucherïnnen Interesse an und Begeisterung für die Marktredwitzer Krippentradition geweckt.
4. Wer jetzt neugierig geworden ist: wie kann man die virtuelle Krippenwelt erleben?
Die Virtuelle Marktredwitzer Landschaftskrippe kann zu ausgewählten Zeiten im Egerland-Museum Marktredwitz erlebt werden Gleichzeitig wird bis 5. Februar 2024 die umfangreiche Krippensammlung erstmals vollständig gezeigt, bei freiem Eintritt. Alle Informationen zu Anfahrt und Öffnungszeiten sind hier.
Die Virtuelle Marktredwitzer Landschaftskrippe ist mobil und kann an jedem Ort mit Stromanschluss und ca. 5 x 5 m ebener Fläche in kurzer Zeit aufgebaut und in Betrieb genommen werden. Anfragen bitte über das JuKu-Mobil oder an info@juku-mobil.de.
5. Was planst Du mit dem Juku-Mobil als nächstes?
Das JuKu-Mobil ist Bayerns erste und nach wie vor einzige mobile Jugendkunstschule in Bayern.
Wir arbeiten mit freien Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Viele unterschiedliche Techniken, Materialien und Erfahrungen ergeben im Zusammenspiel mit den Wünschen der Teilnehmenden und den Voraussetzungen vor Ort immer wieder neue Kunst.
In unseren Workshops bemalen wir Postkarten in Aquarelltechnik oder gestalten ganze Fassaden mit Graffiti. Wir formen Skulpturen aus Ton oder bauen große Installationen im öffentlichen Raum. Wir verarbeiten Müll zu Recycling-Kunst, spielen selbst erfundene Theaterstücke und erkunden die kreativen Möglichkeiten der Virtuellen Realität.
Mit der Virtuellen Landschaftskrippe wollen wir als nächstes über die konkrete historischer Tradition hinausgehen und die spannenden Möglichkeiten von Kunst in der Virtuellen Realität erkunden!
Titelphoto: Lena Wenz