Training & Education

Fünf Fragen an Brandoberrat Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Schemmel


Die Staatliche Feuerwehrschule in Würzburg betreibt aktuell das Projekt “VR-Strahlrohr“, über das auch schon der Bayerische Rundfunk berichtet hat. Dieses Projekt ist im Schulterschluss zwischen Innenminister Joachim Herrmann und Digitalministerin Gerlach entstanden. Wir haben mit dem Projektleiter Brandoberrat Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Schemmel gesprochen. Er öffnet unseren Blick dafür, worauf es bei der Brandbekämpfung ankommt und erklärt, wie und wo Virtual Reality das bestehende Training ergänzen und bereichern kann, was Technik besser kann und wo ihre Grenzen sind. Los geht’s:

  1. Was genau bieten Sie als Trainingsinhalte in Virtual Reality an und was ist der Mehrwert dieses Trainings gegenüber dem Training im Brandübungshaus, das Sie ja in Würzburg zur Verfügung haben?

Unser Virtuelles Training zur Innenbrandbekämpfung bietet die Möglichkeit, die Tätigkeit der atemschutztragenden Personen bei der Brandbekämpfung in einer virtuellen Umgebung zu üben.

Der Angriffstrupp muss im Einsatz beim Öffnen der Tür zum Brandraum oder zu einem unbekannten Raum die Lage, d.h. die Brandentwicklung und Raumgeometrie erkunden und einschätzen, dann eine passende Löschtaktik finden  und diese auch in die „handwerklich richtige“ Strahlrohrführung umsetzen.

In unserem Brandhaus kann zwar dieses Vorgehen auch geübt werden, allerdings wird dort das Feuer mit Gasbrennern begrenzter Größe und der Rauch mit Nebelmittel simuliert, der Löschvorgang erfolgt durch die Ansteuerung der Brandstellen durch Wassersensoren oder den Ausbildenden. Dies ist nur begrenzt realistisch.

Mit einem VR-System dagegen wird die Brand- und Rauchentwicklung sowie die Wirkung des Löschwassers sehr realitätsnah dargestellt. So kann der Löschangriff bei beliebigen Lagen vom Entstehungs- bis zum Vollbrand ohne großen Vorbereitungsaufwand geübt werden, auch und gerade bei Lagen, die mit der konventionellen Simulationstechnik nicht darstellbar sind oder deren Bekämpfung bei Fehlern ein zu großes Verletzungsrisikio für die Übenden mit sich bringen würde.

Gerade auch die leichte Wiederholbarkeit der Übungen bietet den Vorteil, dass Situationen in kurzer Zeit vielfach durchlaufen und dadurch die Handlungssicherheit enorm verbessert werden kann.

  1. Was ist das Besondere an Ihrem Training?

Die Entwicklung des Feuers und die optische Darstellung beruht auf einer numerischen Simulation und ist dadurch dynamisch. Jede Einsatztätigkeit, aber auch jedes Abwarten wirkt sich auf Brandobjekte, Raumtemperatur sowie Durchzündungsverhalten aus. Man kann also z.B. durch Kühlung tatsächlich eine Rauchdurchzündung  verhindern oder eben nicht.

Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Auswertung. Der komplette Löschangriff wird aufgezeichnet: die Blickführung und natürlich auch die Strahlrohrführung. Daraus wird auch die Menge des aufgebrachten Wassers auf verschiedenen Flächen berechnet.

Nach der Übung kann sich ein Übender im „Replay-Modus“ selbst beobachten. Es ist deutlich erkennbar, ob die eigentliche Gefahrenquelle erkannt und mit dem Strahlrohr effektiv bekämpft wurde, wo gut gelöscht wurde, wo unnötigerweise Wasser ankam oder ob ein Bereich z.B. bei der Rauchkühlung ungenügend abgekühlt oder gar komplett vergessen wurde.

Bei bisherigen Übungen musste ein Ausbildender den Übenden begleiten und anschließend ohne weitere Hilfsmittel das Vorgehen diskutieren.

Unsere jahrzehntelange Erfahrung aus dem Brandhaus zeigt, dass zum einen auch sehr erfahrenes Ausbildungspersonal einfach nicht alle Tätigkeiten erkennen, zum anderen der Übende so „im Tunnel“ sein kann, dass er vieles gar nicht wahrnimmt . In der gemeinsamen Auswertung gibt es oft Diskussionen, wer etwas wie gesehen oder gemacht hat.

Im VR- System können diese sehr subjektiven Wahrnehmungen der Beteiligten dann durch eine objektive technische Aufzeichnung ergänzt und dadurch die Auswertung der Übung wesentlich verbessert werden. Das kann sowohl unter Begleitung durch einen Ausbildenden, aber auch alleine mit entsprechende Softwareunterstützung erfolgen.

  1. Gibt es schon erste Erfahrungen von Teilnehmer:innen? Wie kommt die Experience an?

Von Anfang an, schon in den ersten Testphasen war erkennbar, dass die Teilnehmer:innen zwar zuerst mit großer Skepsis an das „neue Spielzeug“ herangehen, aber bereits nach wenigen Sekunden voll in die Lage eintauchen: Sie vergessen sehr schnell, dass es sich „nur“ um eine Simulation handelt.

Nach dem Ablöschen des Brandes sind sie fasziniert von den Auswertemöglichkeiten. Man „schaut sich selbst zu“, erkennt Fehler und überlegt, wie es besser gegangen wäre.      

Automatisch kommt dann die Frage, ob sie noch einen weiteren Durchgang absolvieren können, entweder um die gemachten Fehler zu korrigieren oder um eine neue schwierigere Lage zu üben.

Unsere Idee, die virtuelle Realität für einen Teil der Ausbildung zu nutzen scheint also richtig gewesen zu sein. In allen Entwicklungsphasen kamen viele Vorschläge, was man verbessern oder integrieren könnte. Natürlich konnten wir viel davon noch einbauen.

Allerdings muss man aber auch ganz klar sagen: wir stellen hier nur einen Teil der Ausbildung dar. Wir versuchen in VR vor allem das darzustellen und zu üben, was mit anderen Übungsanlagen „nicht geht“ oder zu gefährlich wäre.

Bei vielen Wünschen stellen wir fest, dass nicht alles im virtuellen Raum darstellbar ist. Beispielsweise das Absuchen größerer Flächen, das Schlauchmanagement innerhalb einer Wohnung, die Zusammenarbeit als Trupp oder auch der Rückstoß, der beim Öffnen eines Strahlrohrs entsteht, wären nur mit großem Aufwand darstellbar. Das funktioniert im „richtigen Leben“ mit echten Menschen, echter Ausrüstung und echten Räumen besser.

  1. Was ist Ihr Plan, das Training möglichst vielen Feuerwehrleuten zugänglich zu machen?

Aktuell sind wir sozusagen in der „Beta-Test-Phase“. Das System ist technisch komplett lauffähig, unsere Ausbildenden sammeln Erfahrung mit den Systemen.

Neben den VR-Anlagen, die an den drei staatlichen Feuerwehrschulen bei verschiedenen Lehrgängen genutzt werden, planen wir gerade die Beschaffung von VR-Anlagen für die Kreis- und Stadtbrandinspektionen. Wir gehen davon aus, dass diese Anlagen spätestens im Laufe des nächsten Jahres überall in Bayern zur Verfügung stehen.

Dazu entsteht gerade ein Schulungskonzept mit Veranstaltungen zur Übergabe und zur Einweisung, aber auch ein System zur technischen, aber auch fachlichen und pädagogischen Begleitung der Ausbildenden.

Letztendlich soll ja „jeder“ Ausbildende und „jeder“ Atemschutztragende die Systeme nutzen können, die VR- Anlagen sollen ein ganz selbstverständlicher Bestandteil der Aus- und Fortbildung werden.

  1. Was planen Sie als nächstes? Was ist Ihre Vision?

Zum einen natürlich eine Fortentwicklung des Virtuellen Trainings zur Innenbrandbekämpfung. Aktuell steht das (hoffentlich weitgehende ausbleibende) Troubleshooting und Bug-Fixing im Vordergrund.
Unser Entwicklungsteam hat aber schon einige Ideen, die sich im aktuellen Projekt (noch) nicht umsetzen ließen. Ein großer Wunsch ist es z.B. , ein reales Strahlrohr mit echter Wasserabgabe auf dem Übungshof in der virtuellen Welt nutzen zu können. Allerdings ist die VR- Technik dazu aktuell noch nicht genügend wetterfest und wasserdicht.

Aber auch außerhalb des Themas „Innenangriff“ bietet das Thema XR Vorteile für unsere Ausbildung.

Die Entwicklung einer anwendungsreifen webbasierten Umgebung zur Führungskräftefortbildung läuft gerade an, es existieren bereits Prototypen für eine Virtuelle Drehleiter und für ein autarkes Training für Gruppenführer mit autarker Auswertung.

Unsere „Lernbar“ bietet inzwischen viele verschiedene Unterlagen, Videos aber auch 3D- Einsatzfahrzeug – Visualisierungen.

Selbst für unsere neues Übungsgelände mit realen Gebäuden gibt es zusätzlich zur konventionellen Simulationstechnik mit Nebelmaschinen, Feuersimulatoren und gasbefeuerten Brandsimulationen inzwischen interessante Ansätze zur Schadensdarstellung mit AR-Brillen oder zur Messgerätesimulation.

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