Kunst & Kultur

Architekten entdecken das Metaverse


Die Gestaltung von Gebäuden, Umgebungen und ganzen Städten ist zunehmend kein physisch existentes Privileg mehr

Seit Jahrhunderten entstehen auf der Welt die unterschiedlichsten Bauwerke, die mitunter heute noch zu bestaunen sind. Millionen Menschen pilgern zu ebendiesen Monumenten, um sie live, reell und maßstabsgetreu zu bestaunen. Doch nicht selten stehen dort nur noch letzte Reste der gebauten Zeitzeugen. Welche Bereicherung wäre es also, zerstörte Gebäude auch viele Jahre danach begehen, erleben oder im Falle eines Wiederaufbaus, das Original durch digitale Verfahren wie 3D Scans oder Punktwolkenmodelle wiederherstellen zu können. Das bewies etwa der Wiederaufbau der in Teilen abgebrannten Kathedrale Notre-Dame in Paris. Mithilfe einer digitalen Rekonstruktion konnte das historische Original in weiten Teilen exakt seinem Vorgänger nachgebaut werden. Dieses Beispiel zeigt überdies, das 3D Visualisierungen eine fabelhafte Grundlage bilden, um daraus eine virtuelle Umgebung zu generieren. Auch jetzt noch ist sie maßstabsgetreu und immersiv begehbar und durch die regelmäßigen 3D Scans während der Sanierungsphasen konnte der interessierte Zuschauer nahezu in Echtzeit den Baufortschritten folgen. Den Gipfel der Immersion erreicht derjenige, der besagte Begehung mittels VR-Brille durchführte.

Der Eintritt in die virtuelle Welt bildet gleichermaßen das Tor zum Metaverse. Darin sehen viele (Digital-)Experten das nächste große Ding für das Leben, Arbeiten und Entwickeln von Innovationen. Wenn man allerdings einhundert Experten nach ihrer Definition eines Metaverse befragt, erhält man genauso viele Meinungen. Eine einheitliche Beschreibung bleibt bisher aus. Das macht es so schwierig, das Metaverse in die Allgemeinheit zu tragen und Verständnis sowie Akzeptanz zu gewinnen. Sicher ist aber, dass der Begriff nicht vom unbenannten Facebook-Konzern Meta ins Leben gerufen wurde, sondern bereits vor dreißig Jahren von Neal Stephenson, Autor des Science-Fiction-Romans Snow-Crash stammt.

Zunehmend werden Bestandteile des realen Lebens in das Metaverse verlagert

Infolge der multiplen Begriffsdefinitionen kocht jedes Unternehmen sein eigenes Süppchen und entwickelt – wie anfangs im Smart Home – eine für sich betrachtete Insellösung. Die Kunst wird es dann später sein, daraus ein großes ganzes Metaversum zu kreieren.

Von den „feinen Details“ unbeirrt, bauen überzeugte Digitals und zukunftsorientierte Firmen sukzessive an ihren mitunter bestaunenswerten Metaversen. Erfreulicherweise befinden sich auch Architekturbüros und Designer unter den Pionieren. Zu einem der ersten Architekturbüros zählen unter anderem die weltweit agierenden Zaha Hadid Architekten (ZHA) aus London. Gemeinsam mit dem Medienkünstler Kenny Schachter entwarfen sie für die Galerie Nagel Draxler im Rahmen der Art Basel Miami Beach 2021 eine digitale Ausstellung. Darin wurden ebenfalls digitale Werke verschiedener Künstler ausgestellt.

Nftism: Zaha Hadid Architects
Die erste Ausstellung für das Metaverse entwarf das Londoner Architekturbüro Zaha Hadid Architects (ZHA) für die Art Basel Miami Beach 2021 in Kooperation mit dem Künstler Kenny Schachter

Da das Team von ZHA von solchen Cyberspaces überzeugt ist, folgte kurz darauf der Entwurf zu „Meta Horizon: The Future Now“. In Kooperation mit dem Künstler Refik Anadol, der sich auf virtuelle und von künstlicher Intelligenz inszenierte Kunst spezialisiert hat, entsteht erneut eine Ausstellung, dieses Mal in Seoul, Hauptstadt Südkoreas. Bis Ende letzten Jahres gab es eine Kombination aus Kunst, Technologie und Architektur zu sehen. Die Ausstellungsräume wurden so konzipiert, dass sie die Designideologien, Prozesse und Forschungsarbeiten des Unternehmens in Form interaktiver digitaler Kunst zeigten. Die Kunst ist quasi Vermittler architektonischen Gedankenspiels mit digitalen Welten. Obendrein wollen die Initiatoren zeigen, was heute bereits als realisierbar gilt. Will heißen, die Architekten arbeiten bereits an der nächsten Meta-World, weil die Möglichkeiten von Dreidimensionalität, Interaktionsreichtum sowie kreativem Gestaltungsfreiraum unendlich scheinen.

Meta-Horizon: Zaha Hadid Architects
Die Ausstellung “Meta-Horizon: The Future Now” entstammt ebenfalls aus der Feder von ZHA

Dieser Meinung folgt das weltweit führende Meta-Architekturunternehmen Illusorr. Unter ihrer Ägide entstand die erste designorientierte Metaverse-Plattform Optiverse. Und in der Tat, der gestalterische Anspruch hebt die virtuelle Umgebung auf ein qualitativ deutlich höheres Level. Hiervon können, nein sollten andere Plattformen wie etwa Mozilla Hubs, Horizon Workrooms oder Microsoft Mesh partizipieren. Denn ein architektonisch hochwertiges Metaverse-Ambiente bedient nicht nur den ästhetischen Aspekt, weiter gedacht lassen sich ebenso eine Reihe von Funktionen einfacher und sogar vielfältiger nutzen. Am Beispiel von Optiverse erwartet den User eine gesamte Meta-World für Kollaboration oder anderweitigen Aufenthalt, in der sich etwa Tagungsräume, Galerien, Einzelhandel, Hörsäle, Bibliotheken und Museen befinden. Um den Zugriff für jedermann zu gewährleisten, wird Optiverse auf Cloud-Servern gehostet, sodass jeder mit der Webbrowser-Anwendung auf seinem Gerät (PC, Mac, Handy, Tablet, Konsole, VR-Headset) agieren kann.

Illusorr-12: Illusorr
Das führende Meta-Architektenunternehmen Illusorr legt Wert auf eine äußerst hochwertige Gestaltung und Inszenierung der Metaversen

Von selbiger Idee inspiriert, startete „The Row“ – ebenfalls eine Metaverse-Plattform, angestoßen vom Metaverse-Immobilienentwicklungsunternehmen Everyrealm. Allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht nur von Architekten, Designern und Künstlern gestaltet wird, sondern auch nur von selbigen Professionen genutzt werden soll. Die Teilnahme erfolgt in Form einer Mitgliedschaft. Die Entwickler von The Row bringen einerseits visionäre Künstler zusammen, die für ausgefallene, aber hochwertige Architekturen stehen und andererseits Sammler, die nach einer einzigartigen Residenz in limitierter Auflage suchen und in andere Metaversen einsetzen können. Der erste Distrikt befindet sich in Mona. Hierfür entwarfen sechs Kreative die dazugehörigen virtuellen Gebäude mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Weitere Distrikte sollen im Laufe der Zeit in anderen Metaversen entstehen.

Alexis Christodoulou für The Row 
Für The Row, einer Metaverse-Plattform von Architekten, Designern und Künstlern, gestalteten sechs Kreative für den ersten District ihre Vorstellung eines dortigen Gebäudes

Es war gleichwohl nur eine Frage der Zeit, bis auch die Bjarke Ingels Group (BIG), einer der innovativsten Global Player im Architektenhimmel, das Metaverse für sich entdeckte. Im letzten Jahr entstand ihr erstes Gebäude im Metaverse. Genauer gesagt handelt es sich um ein virtuelles Büro für Mitarbeiter des Medienunternehmens Vice Media Group. Sie nennen ihre Welt Viceverse. Das dafür käuflich erworbene Grundstück befindet sich im sogenannten Decentraland – einer Metaverse-Plattform für digitale Grundstücks- und Immobilientransaktionen. BIG konzipierte hierfür ein Gebäude mit stark ausgeprägten organischen Formen. Mit Blick auf bisherige Projekte, mutet der Entwurf eher ungewöhnlich an, schaut man insbesondere auf die wellenförmige Fassade. Mit dem Erstlingsprojekt wollen alle Beteiligte einen Ausgangspunkt für die digitale Feldforschung zur Soziologie digitaler Gemeinschaften schaffen. Mehr noch: Das Viceverse soll den Remote-Teams die kreative Zusammenarbeit durch die interaktive Kommunikation vereinfachen und mehr Immersion durch außergewöhnliche Architektur ermöglichen.

Alle genannten und weitere Beispiele finden Sie auf dem News Channel architekturdesigner.XR.

Der Beruf des Architekten unterliegt einer Diversifikation

Die Beispiele für Architektur im Metaverse lassen sich zwar nicht beliebig aufzählen, aber das Thema nimmt seit einigen Jahren deutlich Fahrt auf. Und noch etwas kristallisiert sich in diesem Zusammenhang heraus: Der klassische Beruf eines Architekten ist damit nicht bzw. nur wenig vergleichbar. Keine physischen Zwänge, keine Sicherheitsvorschriften, keine Baustellen, keine politischen Grenzen oder keine ausführenden Gewerke mit schlechter Ausführung. Reine Kreativität. „Der Architekt des Metaversums muss über Kenntnisse in traditioneller Architektur, aber auch in konzeptioneller Kunst verfügen. Da man von den Beschränkungen der realen Welt befreit ist, wird die Kreativität stärker betont als die technische Ausführung“, bestätigt George Bileca, Geschäftsführer von Voxel Architects.

Es könnte demnach zu einer Differenzierung zweier Berufsbilder führen: Der klassische Architekt und der Meta-Architekt. Abgesehen davon muss die Architekturausbildung diesem neuen Zeitalter der Architekten eine Kombination aus digitalen Medien und 3D-Technologie beibringen. Dies führt zu einer Verschiebung über die Geschichte der Architektur, Bautechniken und Materialien hinaus.

Dennoch ähnelt die Architektur des Metaversums dem wohnlichen Konzept der realen Welt. Bad, Küche, Wohnraum, Garten oder Bürolandschaften sind auch hier zu finden. Und zwar dann, wenn ein mögliches Projekt für einen Bauherrn erst zur Testung als virtueller Zwilling entworfen wird. Doch in der Regel sind bis jetzt digitale Gebäude nicht für die Nutzung von Lebensmodellen gedacht. Vornehmlich geht es um die Schaffung von Begegnungsorten, an denen von überall aus der Welt zusammengearbeitet oder gespielt werden kann. Doch so oder so: Architekten und Designer bestimmen das Bild der Metaversen mit ihren kreativen Ideen entscheidend mit. Die Frage ist, in wie weit sie sich dem neuen „Spielfeld“ öffnen und der Ernsthaftigkeit eines stark wachsenden Metaversums ihre Aufmerksamkeit schenken.

Die Autorin Kelly Kelch ist Herausgeberin des News Channel architekturdesigner.XR

Über den Autor

Geschrieben von:

Kelly Kelch ist Journalistin und gründete im Jahr 2000 die Presse- und PR Agentur architekturdesigner mit Schwerpunkt Architektur, Design und Real Estate. Zudem ist sie Herausgeberin des News Channels architekturdesigner.XR, der sich in den besagten Bereichen den Themen der Zukunft und des digitalen Entwerfens und Planens widmet. Außerdem ist sie Initiatorin der Zukunftswerkschau XR.Factor.

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